Sommerfahrt 1996 – Niederlande
Die kleinen Problemchen des Seepfadfindens
Achter Tag unseres 96er Sommerlagers in den Niederlanden: Vormittags fahren wir mit dem Zug von Harderwijk nach Grouw in Friesland und übernehmen dort bei Otto Bartels sechs BM-Jollen, offene Segelboote, 5,90 m lang, über die man abends eine Persenning legen kann. Die teils sehr jungen Bootsführer haben wir letzten Sommer und intensiv an vier Wochenenden im Frühjahr im Stamm ausgebildet.
Nachdem alles in den Booten verstaut ist geht’s dann aus dem Hafen raus gleich durchs Hauptfahrwasser, über den Ostausläufer eines Sees in den ersten friesischen Kanal, der Art wie wir sie noch „lieben“ lernen werden. Dieser hier ist gerade mal doppelt so breit wie die Boote lang und der Wind bläst – dummerweis’ – genau von vorne.
Wer schon mal gesegelt ist, weiß was das heißt: Alle fünfzehn Sekunden umlegen, will sagen die Fahrtrichtung um 90° wenden und dabei die Segel auf die andere Seite nehmen. Das ist mühsam, auf die Dauer auch langweilig und vor allem sehr, sehr langsam.
In diesem Falle besonders ärgerlich, da ich nach einer Viertelstunde und vielleicht 600m Strecke feststelle, dass dieses nicht der Kanal ist, der uns zum geplanten Fahrtziel bringen sollte. Also wenden und mit Wind von achtern zurück auf den See. Bleibt noch zu bemerken, dass sich zwei Boote zu nah ans Ufer gewagt hatten und sich erst nach geraumer Zeit aus dem Schlamm befreien konnten.
So gegen vier, fünf Uhr nachmittags sind dann endlich alle Boote raus aus dem Kanal und wieder auf dem See. Ich stelle fest, dass die kostenlosen Anlegeplätze, von denen der Vercharterer gesprochen hat, tatsächlich in Menge vorhanden sind. Wunderbar!
Fast. Denn bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass sie schon fast alle belegt sind. Ist eben Wochenende in Friesland. In einem Hafen, wo wir auch nicht bleiben dürfen, sagt man uns aber, dass da hinten, durch die Schleuse noch Anlegemöglichkeiten seien. Also schicke ich die restlichen Boote auf den See zum „Wartesegeln“ und mache mich mit meiner Crew auf Erkundungsfahrt.
„Aanlegen verboden!“ steht da an den einzigen Stellen, wo’s möglich wäre. Vielleicht da hinten? Der Wind in dem Kanal ist durch die Landabdeckung mit einem mal ziemlich schlapp geworden, und so dümpeln wir träge durch das Wasser, welches rechts und links durch Schilf und Binsen begrenzt ist und – laufen auf!
„Verdomme!“, geht’s mir durch den Kopf. Karte raus. „Untiefe??“ „Nicht eingezeichnet.“ „Na, Klasse!“ Also den knapp vier Meter langen Holzprengel losgemacht, der unter der Bezeichnung Stagstange sein Leben in der Backbord-Want fristet. Nachdem das Holz ca. einen Meter im Schlick steckt, bewegt sich das Schiff tatsächlich ein bisschen nach achtern. Allein, es besteht ein physikalisches Problem: Actio = Reactio. Beim Herausziehen des Stabes zieht sich das Boot wieder herein. Nach fünf Minuten Kampf mit der Physik haben wir sie überlistet und das Boot ist wieder frei. Nächster Anlauf durch die Engstelle, dies mal ein bisschen weiter links und – wieder festgefahren. Wir popeln und prokeln mit der Stange im Schlamm, der Motor springt auch nicht an, nichts geht mehr.
Später, kurz vorm Einschlafen am Abend kommt mir der Gedanke, dass der Hebel mit der kleinen Tanksäule drauf vielleicht der Benzinhahn sein könnte, den man hätte umlegen sollen. Tja, ich hab’ eben nie ein Mofa besessen, und die Außenborder mit denen ich bisher gefahren bin, hatten so was nicht, weil der Tank immer extern angeschlossen war.
Dieser rettende Gedanke sollte auf jeden Fall zu spät kommen und ich denke gerade darüber nach, dass, wenn wir alle von Bord gehen, das Boot leichter wird ... und das Wasser kann ja höchstens 80 cm tief sein, und wenn wir dann das Boot ... als die Rettung in Form eines Niederländers mit Sohn und motorbetriebenem Schlauchbootes naht. Dieser schleppt uns mit ein bisschen Mühe frei und wir können uns endlich wieder unserem alten, immer noch ungelösten Problem widmen, nämlich dem des Übernachtungsplatzes.
Angesichts der Tatsache, dass sich inzwischen auch die letzten Lücken an den Liegeplätzen geschlossen haben, beschließen wir, zurück zu fahren und uns für die erste Nacht bei unserem Vercharterer in den Hafen zu legen. Eine üble Niederlage.
Nicht ganz. Kurz vorm Dunkelwerden finden wir noch eine größere und eine kleinere Lücke an einem Steg. Passt vielleicht für drei Boote. Also „parken“ wir die ersten drei Boote mit etwas Mühe in die Lücken und legen die anderen drei jeweils daneben.
Abendessen beim flackernden Licht von Petrofunzeln, ein bisschen Singen und dann, mit der Hoffnung, dass die nächste Woche weniger stressig wird, bis morgen Vormittag ausschlafen.
Schön wär’s gewesen. Allein, unseren Freunden der motorisierten Art beliebt es, schon morgens, ab halb sieben PS-stark und mit ungebührlicher Hast an unseren Boote-Päckchen vorbei zu braten; was auf den leichten Jollen ein erdbebenähnliches und nicht zu überschlafendes Geschaukel zur Folge haben muss. Also, auf in den nächsten Abenteuertag...
Karsten Müller